Landwirtschaft 2.0 hautnah
Familie Gürtner aus Oberlauterbach lädt zur Betriebsbesichtigung ein
Mainburg/Oberlauterbach. Simone und Daniel Gürtner ließen sich auf Anfrage nicht lange bitten und waren ohne Weiteres bereit Schülerinnen und Schülern des GGM ihren Vollerwerbs-Landwirtschaftsbetrieb mit Sitz in Oberlauterbach bei Pfeffenhausen vorzustellen. Besondere Brisanz erhielt der Besuch dabei durch die derzeit in neuer Qualität entfachte Diskussion rund um das Spannungsfeld Landwirtschaft und Naturschutz, wie sie durch das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ aufgekommen ist. Ein Thema, das auch schon Fünftklässlerinnen und Fünftklässler umtreibt, wie in so manchem Unterrichtsgespräch deutlich geworden war. Was lag näher als vor Ort zu erkunden, wie Landwirtschaft heutzutage überhaupt noch funktionieren kann, angesichts immer komplexer werdender Rahmenbedingungen und einer Gesellschaft, die extrem hochwertige Nahrungsmittel aus gesunder Umgebung fordert, aber gleichzeitig so wenig für das Essen ausgibt, wie kaum ein anderes Land europaweit.
In Oberlauterbach angekommen zeigte sich schnell, dass eine nachhaltige Wirtschaftsweise weniger eine Frage von „konventioneller“ oder „ökologischer“ Landwirtschaft ist und auch nicht von der Betriebsgröße abhängt, sondern vor allem eine Frage eines schlüssigen Gesamtkonzeptes ist: Denn die verschiedenen Betriebszweige des 190 ha großen Mischbetriebes arbeiten zwar prinzipiell konventionell, sind jedoch bis ins letzte Glied aufeinander abgestimmt, um möglichst geschlossene Stoffkreisläufe und möglichst effiziente Energieflüsse zu gewährleisten.
Im Mittelpunkt steht eine Biogasanlage, die wesentlich zu einer dezentralen und treibhausgasneutralen Stromversorgung beiträgt, und zwar auch in sonnen- und windarmen Zeiten, da das Gas bis zu den Bedarfsspitzen gespeichert werden kann. Die mit einem Gesellschafter bewirtschaftete Anlage ist zudem bereits seit 2005 am Netz, war also eine echte Pioniertat zur Umsetzung des erst seit 2004 existierenden Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Mit der Anlage wird obendrein Wärme erzeugt, womit nicht nur 26 Haushalte in Oberlauterbach versorgt werden, sondern auch das Gemüse aus eigenem Anbau getrocknet und der benachbarte Hähnchenmaststall geheizt wird, der das zweite wichtige Standbein des Betriebes darstellt.
Hier wird hochwertiges Hähnchenfleisch produziert, wobei auf Haltungsbedingungen nach dem „Tierwohl“-Label Wert gelegt wird, so dass die Hähnchen 10% mehr Platz haben als gesetzlich vorgeschrieben ist und unter anderem artgerechtes Spielmaterial vorfinden. Die Kinder waren erstaunt zu erfahren, dass die Landwirte für ein Kilogramm Hähnchenfleisch, obwohl sie doch fast alle Hähnchen so gerne und so oft essen, nur etwa einen Euro bekommen! Der anfallende Dung der Mastanlage stellt seinerseits rund ein Drittel der Befütterungsmasse der Biogasanlage, so dass die öfter gehörte Kritik, Biogasanlagen führten zu einer extremen Ausbreitung von Mais-Monokulturen und damit zu einem beträchtlichen Druck auf die Biodiversität, für diese Anlage relativiert werden kann. Die Gärreste der Biogasanlage wiederum sorgen, neben dem konsequenten Anbau von Zwischenfrüchten, für die Verbesserung des Humusanteils im Ackerboden und damit den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und des Bodenlebens. Auf den benachbarten Äckern wächst im Übrigen nicht nur ein Teil des Maises für die Biogasanlage, sondern mit Weizen auch ein Teil des Hühnerfutters und insbesondere das schon erwähnte Gemüse, das dritte Standbein der Familie, dessen Putzreste wiederum in der Biogasanlage landen.
Der Gemüseanbau der Gürtners wird begünstigt durch einen bundesweiten Trend zum Kauf regionaler Lebensmittel, denn diese vermeiden lange Transportwege zum Verbraucher, die sich negativ auf die Ökobilanz der Produkte auswirken. Viele Lebensmitteleinzelhändler haben deshalb seit mehreren Jahren regionale Lebensmittel im Sortiment und auch in Oberlauterbach arbeitet man mit einer großen Supermarktkette zusammen, um Speisekartoffeln, Zwiebeln und insbesondere – und das gibt es nur ganz selten in Bayern – Knoblauch unter einem regionalen Label zu vermarkten. Klar, dass dazu mit einem Verpackungsbetrieb ganz in der Nähe zusammengearbeitet wird.
Am Ende war man beeindruckt, wie stark auf einen Ausgleich ökonomischer, ökologischer und auch sozialer Interessen geachtet wird: Der Betrieb bietet nämlich zudem vier Hochqualifizierten eine Vollzeitstelle „dahoam“ an: neben der Diplom-Wirtschaftsingenieurin Simone Gürtner und dem Diplom-Agraringenieur Daniel Gürtner gehören noch ein Lehrling und ein angehender Landwirtschafts-Meister zur Stammbelegschaft, die sich offenbar erfolgreich einem internationalen Wettbewerb stellt, ohne dabei auf Umweltschutz zu verzichten. Im Gegenteil: Auf 2,5 Kilometern Länge sind Gewässerrandstreifen angelegt, man arbeitet konsequent mit Untersaaten bei den Feldfrüchten und hat für die Insekten fast einen Hektar Bienenweide angesät – wichtige Schritte, die auch ein langsames Umdenken in der ganzen Gesellschaft bewirken könnten. Vielleicht erleben es unsere Kinder ja tatsächlich noch, dass dereinst verpflichtend Feldgehölze und Hecken als Biotopverbund wiederkehren oder sogar unsere total verbauten Fließgewässer renaturiert werden. Dann wäre viel erreicht. Die nächste Generation jedenfalls hat oft interessiert nachgefragt und war am Ende begeistert von der Exkursion: Und das lag nicht nur am herrlichen Sonnenschein, den exquisiten Pausen-Muffins von Frau Gürtner und dem Ausfall des Schul-Unterrichts!
Text und Bilder: Erwin Fiesel