Deutsch-Projekte

„Jede Figur bekommt die Sprache, die zu ihr passt“

Jugendbuchautor Dirk Reinhardt liest am Gabelsberger-Gymnasium für die achte Jahrgangsstufe

 

Wie gestaltet sich eigentlich der Schreibprozess an einem Roman? Auf diese von einem Achtklässler gestellte Frage antwortete der Jugendbuchautor Dirk Reinhardt, er würde in mehreren Schritten vorgehen. Zunächst erarbeite er ein Konzept, das ungefähr 50 Seiten umfasse und nicht nur einen Handlungsüberblick, sondern auch detaillierte Beschreibungen der Charaktere, ihrer Entwicklung und ihrer Beziehungen zueinander böte. Danach gehe es an die Ausgestaltung. In einem mehrmonatigen Schreibprozess, so sagte er, würde er jeder Figur ihre eigene Sprache verleihen, und zwar jeweils die Sprache, die zu ihr passe.

Dies gilt auch für Soraya und Tarek, die Hauptfiguren in Reinhardts Roman „Über die Berge und über das Meer“, aus dem er am 22. Juli in der Mensa des Gymnasiums vorlas, und gerade deswegen können sich Jugendliche gleich mit ihnen identifizieren. Zwar unterscheidet sich ihre Lebenswirklichkeit deutlich von derjenigen des afghanischen Bauernmädchens und des Nomadenjungen, aber im Grunde genommen haben sie ähnliche Wünsche: eine gesicherte Zukunft, Freiheit, Frieden, Autonomie. Soraya, die nach afghanischer Tradition als jüngste Tochter einer Familie, in die kein Sohn hineingeboren wurde, als Junge aufwächst, hadert mit ihrer Identität und kommt deswegen so stark in Bedrängnis, dass ihr auf Druck der Taliban nur die Flucht in die Türkei bleibt. Tareks Familie hat aufgrund des Klimawandels kein Auskommen mehr, da die Schafzucht, die sie schon seit vielen Generationen betrieben haben, nicht mehr lukrativ ist und kaum die gesamte Familie ernähren kann. Auf Wunsch seines Vaters soll Tarek nun im Westen sein Glück versuchen. Alltägliche Geschichten, so möchte man meinen, doch erlebt man sie hier durch die Augen zweier Vierzehnjähriger und begreift auf einmal die Schicksale, die hinter den Nachrichtenbildern von Migranten stehen, die über das Mittelmeer flüchten, weil es zuhause keine Perspektive mehr für sie gibt.

Der ausgebildete Journalist Reinhardt hat u.a. im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos mit Menschen gesprochen, die die Kriegswirren Afghanistans hinter sich gelassen haben und hat ihre Erfahrungen in sein Buch mit aufgenommen. Auch sein Vortrag lebt vom Authentischen. Fotos aus Afghanistan und ein Vortrag über politische und kulturelle Hintergründe reicherten die Lesung an und machten so den Einblick in eine fremde und doch bekannte Welt zu einem kurzweiligen Vergnügen für die Schüler und ihre Lehrkräfte, das zum Nach- und Hineindenken anregte.

Ein besonderer Dank ergeht an die Klassen 7A, 8A und 8D, die sich in Rekordzeit um Bestuhlung und Abbau gekümmert haben sowie an die Jungs der Technik AG, die für den guten Ton gesorgt haben.

Alexandra Knott für die Fachschaft Deutsch