SchülerInnen im Philosophieren zertifiziert
Philosophieren – der Gegenpol zum Debattieren
Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts Junge Vor!denker schulten am 16.11.2023 Irmgard Stöttner und Christian Schlager von der Hans Lindner Stiftung (die weitere Projekte wie Jugend testet oder Ideen machen Schule veranstaltet) das P-Seminar „Philosophie-Werkstatt‟ (Melchior) im Philosophieren mit Kindern. Während sie am ersten Schulungstag (10. Oktober) in Mariakirchen bei Arnstorf in die Methodik des philosophischen Gesprächs einführten, sollten an diesem zweiten Schulungstag vier Gruppen ihre Philosophie-Gespräche vorstellen und durchführen und im Nachhinein ein Feedback der Coaches bekommen.
Philosophieren – nicht debattieren
Die Methodik des Philosophierens unterscheidet sich dabei diametral von der des Debattierens. Während es beim Debattieren um den Austausch von Argumenten und um Geltungsansprüche geht, d.h. grundsätzlich darum, andere durch bessere Argumente zu überzeugen oder sie rhetorisch zu „schlagen“ – letztlich also um ein kompetitives Unternehmen –, will das Philosophieren gemeinsam und kooperativ an einem Problem arbeiten. Debattieren will zwei gegensätzliche Seiten und Standpunkte näher beleuchten, beim Philosophieren machen sich alle auf, gemeinsam an einer Sache und einem Problem zu arbeiten. Orientiert an der Aristotelischen Mesotes-Lehre soll die Gesprächsführung, die vor dem Gespräch sich eingelesen und recherchiert hat, bei sich selbst auf Neutralität und eine Mitte achten. Die Mitte besteht darin, einerseits nicht zu fixiert auf eine Lösung hinsteuern zu müssen, andererseits nicht in eine völlige Beliebigkeit abzudriften. Stets soll darauf geachtet werden, dass alle Standpunkte und Äußerungen respektiert werden; gleichzeitig wird auch niemand gezwungen etwas beizutragen – wer eher schweigend dem Gespräch lauscht, lernt meist genauso viel. Immer wieder werden verschiedene Gesprächsinhalte von der Leitung zusammengefasst und in weitere Bereiche geführt. So steuert sie das Gespräch sanft, aber auch klar und für alle akzeptabel. Dabei können selbstverständlich unterschiedliche Positionen auch hochkommen und formuliert werden. Dies geschieht jedoch, ohne dass am Ende „die anderen“ entscheiden müssten, wer jetzt Recht hat.
Sichtbarstes Instrument der Methodik ist ein „Wuschel“ – ein Plastikball mit Fransen –, der dem Halter das Rederecht garantiert; so wird das Gespräch bewusst entschleunigt und relativ einfach verhindert, dass man sich gegenseitig unterbricht oder überschreit. Jede/r wird gehört und jede/r hört zu.
Philosophieren – Testläufe
Im Vorfeld des 16.11. wurden von vier Gruppen nach Arbeitsaufträgen eigenständig vielfältige Programme zu den Wertebegriffen “Ehrlichkeit”, “Gerechtigkeit” (Fragestellung: Was ist eigentlich Gerechtigkeit?), “Vertrauen ” und “Freundschaft” gestaltet, die nun ihre erste formale Durchsetzung sahen. Ein passender Einstieg, Gesprächsregeln, ein abrundender Ausstieg sowie ein Protokoll lagen vorbereitet auf dem Tisch. Im philosophischen Gespräch wird jeder Teil jeweils von einem Gruppenmitglied übernommen.
Zunächst wurde in der Gruppe „Ehrlichkeit“ mit einem Gesellschaftsspiel begonnen, das von der Gruppe entworfen und dann an sechste Klassen angepasst wurde: Es beanspruchte die Kreativität und nicht zuletzt die Selbstreflexion der Teilnehmenden. Im Gespräch wurde die Moralität der Ehrlichkeit offenbar vorrangig nach ihrer Wirkung bewertet, wobei mannigfache Dilemmas behandelt und sittliche Maßregeln definiert wurden.
Anschließend wurde die Runde im zweiten Gespräch zum Thema „Gerechtigkeit“ mit einem hypothetischen moralischen Dilemma aus dem Alltag konfrontiert: Niklas’ Lernaufwand resultiert in einer Vier in der Matheschulaufgabe, während Leon sich eines Spickers bedient und eine Eins erzielt. Ist das gerecht? Die Auseinandersetzung mit der Legitimität des Schummelns näherte sich durch die verschiedenen Perspektiven und Maßstäbe, die die Teilnehmenden in ihrem individuellen Urteil zur Rechenschaft zogen, der zentralen Frage: Was ist Gerechtigkeit? Dabei waren passenderweise die persönlichen Erfahrungen und Ansichten der Rundenmitglieder in den Antworten spürbar.
Nachmittags wurden zwei separate Durchläufe parallel abgehalten, zum einen über das Rahmenthema des Vertrauens und zum anderen über Freundschaft. Die jeweiligen Fragestellungen der Teilnehmenden wurden direkt und teils spontan aus dem Gespräch abstrahiert. Die Gesprächsleitung brachte erfolgreich unterschiedliche Perspektiven, die Ansätze eines universalen Verständnisses neben grundverschiedenen persönlichen Ideen sowie der eigenen Definition des Kernbegriffs hervor.
Im Parallelgespräch wurde das Rahmenthema der Freundschaft behandelt, wobei durch vertiefende Fragen die Ansprüche an die Teilnehmenden sukzessive gesteigert wurden.
Zum Ende des Fortbildungsmoduls wurden den Teilnehmenden Zertifikate verliehen, die ihnen ihre Befähigung zur Philosophischen Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen bestätigen.
Im Dezember bzw. Januar folgt nun für alle vier Gruppen ein philosophisches Gespräch mit jeweils einer Klasse der 5. bzw. 6. Jahrgangsstufe, um die erste Phase des P-Seminars zu vollenden.
Dabei gilt den beachtenswerten ReferentInnen Irmgard und Christian der Dank aller Teilnehmenden.
Tansinee Stirn und Wolfgang Melchior